Schreib-Workshop zur Schöpfung
Im Rahmen unseres zweimonatigen Schreibfestivals in der Moschee zu schreiben – das war die Idee meiner Kollegin Kerstin Veigt, als wir überlegten, an welchen Orten unserer Stadt wir mit anderen auf dem Papier zusammenfinden könnten. Dahinter stand der lebendige Wunsch, schreibend den Austausch zu erweitern, Menschen mit ihren spirituellen Erfahrungen und Fragen kennenzulernen und sie auf diesem Weg miteinander zu verbinden. Dabei bewegte uns vor allem die Suche nach dem, was uns als Menschen ausmacht, jenseits von richtig und falsch, in aller Unterschiedlichkeit und Gemeinsamkeit. Dafür erschien uns die Moschee als idealer Ort zwischenmenschlicher und interkultureller Begegnung. Den Einblick in die Fülle von Möglichkeiten, wie Leben gestaltet und gedacht werden kann, der sich dabei ergab, sehen wir als Bereicherung an.
Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort.
Maulana Dschelaleddin Rumi (1207 – 1273)
Bevor es losging, tauschte Kerstin Veigt sich zunächst mit Asmah El-Shabassy von der Marburger Moschee darüber aus, wie ein Schreibangebot bei ihnen gestaltet werden könnte. Sie begrüßte die Idee, ein Schreibfestival für die offene Marburger Stadtgesellschaft anzubieten. Wir trafen uns zu dritt mit Herrn Prof. Dr. El-Zayat, dem Vorsitzenden der Islamischen Gemeinde Marburg, zwecks Austauschs über Fragen und Ideen. Dankbar blicken wir zurück auf die gastfreundliche, vertrauensvolle Bereitschaft, das Experiment zu wagen und uns den Raum zur Verfügung zu stellen.
Im Vorfeld ergaben sich bereits spannende Gespräche über die Bilder in den Suren. Fragen zum tieferen Verständnis kamen auf: Welche Suren sollten wir als Schreibimpulse nutzen? Können wir mit unseren sehr begrenzten Kenntnissen des Korans überhaupt etwas dazu vorschlagen? Würde unsere eigene Freude am Schreiben – Lesen – Lauschen genügen, um andere zu begeistern?
Aber da sich bis jetzt alles so wunderbar fügte, vertrauten wir einfach dem Lauf der Dinge. Aus der Schöpferkraft Kraft schöpfen, das war unser Wunsch für die Schreibwerkstatt. Und tatsächlich zahlte dieses Vertrauen sich aus. Kaum war der Veranstaltungstitel »Schreiben in der Moschee« veröffentlicht, erreichten uns auch schon die ersten positiven Rückmeldungen: Da komme ich gerne hin, dort wollte ich schon immer mal sein.
Der Sonntag stand dann für viele von uns im Zeichen der großen Demonstration für Demokratie. Die grobe Atmosphäre, die derzeit von der Gesprächsführung im Wahlkampf ausgeht, bewegte auch uns und fand Raum in einem Impuls.
Wir begannen zunächst mit einer Namensrunde: Die Teilnehmerinnen setzten ihre Namensbuchstaben untereinander aufs Papier und fügten schriftlich Assoziationen zur Schöpfung hinzu. So entstand eine erste Fülle zum Thema. Wie passend, denn schließlich ist es die spirituelle Qualität des Monats Februar, das Verborgene ans Licht zu bringen! Nun waren wir eingestimmt.
Zum anschließenden Warmschreiben entschied ich mich für folgenden Impuls: Menschsein bedeutet mir, …. Auf einen Streifen Kassenrolle schrieben die Gruppenmitglieder Worte und Fragmente, die mal alltäglich waren, mal allumfassend. (Foto dazu). Die Streifen setzten wir anschließend zu einem Gewebe, einem Textil aus Texten zusammen: Wünsche und Erfahrungen, verwoben auf Papier, hervorgebracht in wohlwollendem Miteinander.
Da Worte im Vorlesen und Anhören noch kraftvoller wirken, trugen wir uns die verschiedenen Auslegungen schließlich vor, um so die eigene Perspektive zu erweitern – nachfolgend einige Kostproben:
Menschsein ist für mich …
… das Geheimnis zwischen Ewigkeit und Wecker
… Hüpfen auf dem Zebrastreifen
… Qur`an rezitieren, über Allahs Wunder staunen
… immer daran zu scheitern, und trotzdem weiterüben
… lebend, grausam, bewusst, einschränkend, langweilig, aufregend
… vergessen & bemerken, dass man vergisst
… das Leben lieben; vergeben und versöhnen
Um uns innerlich noch intensiver auszurichten, leitete Kerstin daraufhin eine Gruppenmeditation an. Zehn Minuten verbrachten wir gemeinsam in vollkommener Stille. Dem folgte die Einladung an die Teilnehmenden, für sich selbst zu schreiben, ohne die Aufforderung, den Text später vorzulesen – sondern einfach schreibend wahrzunehmen, wie ich gerade hier bin.
Nach einer kleinen Pause las ich die Suren 23: 12-14 vor. Das Bild des Tropfens, das darin als zentrales Motiv auftaucht, hatte mich besonders inspiriert. Um sich dem Reichtum des Tropfens zu nähern, schrieben alle das Wort in die Mitte einer Seite – und dazu 18 Gedanken, die gerade dazu aufkamen. Begonnen wurde der neue Text mit dem Satz, der am verlockendsten und vielversprechendsten erschien.
Im Hören staunten wir einmal mehr, welche Vielfalt sich da zeigte:
Terra mater,
unser aller Mutter Erde,
die wir mit so vielen verschiedenen Menschen bewohnen.
Verteilungskämpfe um wertvolle Rohstoffe.
Stehlen. Roden. Rauben.
Aber auch: eindringlicher, engagierter Widerstand dagegen!
Terra mater,
unser aller Erde,
Vogelstimmen, Gesang und Instrumente
besingen Dich!
(Dorothea)
»Erinnerungen sind ein Teil des Lebens, und das Leben wird zur Erinnerung. An schwere Zeiten sich zu erinnern, an schweren Zeiten sich festzuhalten, konstant und standhaft zu bleiben. Erinnerungen helfen. Denn auch wenn die Sonne mal nicht scheint, so weiß ich, es geht auch anders, es wird wieder anders, denn das Leben ist im Fluss und ich ein Tropfen im Meer des Seins. Ich muss es spüren, ich muss Demut zeigen, ich bin ein kleiner Teil vom großen, aber auch ich habe meine Rolle, meine Aufgabe, meine Bestimmung. Es gibt Menschen, die auf mich warten und es gibt welche, die so sehr zu mir gehören, dass ich sie nie vergessen werde. Ich spiegele mich in ihnen und sie sich in mir. Sich selber kennen, in den einzelnen Facetten des Lichtes zu betrachten, die Stärke zu spüren, das Leben zu genießen. Ruhe und Geduld, Gelassenheit und Vertrauen auf das was kommt, das was ist und das was war.«
…..
»Fließ mit dem Strom, aber lass dich nicht treiben, du musst arbeiten, lernen, verstehen und tun, was im Leben erforderlich ist. Du darfst mal ruhen und rausgehen aus allem, mal vom Außen einen Blick auf alles werfen, zurück auf den Anfang, zurück zu dem, was eigentlich wichtig ist.«
……
»Dann zu handeln, nicht zu zögern und sehen wie es wird, nicht verloren sein und einfach gehen, den Weg finden oder erfinden und schauen was wird und werden kann.
Sich daran erinnern, dass ich ich bin und ich immer ich bleibe. Erinnerungen sind mein Ich, das zu mir geflossen ist. Und jetzt bin ich hier.«
(Tabarek Rashid)
So, wie das Wasser fließt, hat mich diese Geschichte berührt, belebt und in Bewegung versetzt, was begann, war ein Weg. Dieser Weg, ich gehe ich ihn jetzt, …. Er ist Teil der Freude, der Lebenskraft. Viel gelacht, gequatscht, gedacht. Bin in die Moschee gegangen, hab neu begonnen, sah mich ganz befangen, innerem Frieden näherkommen. Gelacht, geweint, nachgedacht, vereint. Tschüss gesagt, losgelassen, mich oft gefragt und aufgehört zu hassen. Mein Weg beginnt mit Zamzam.
(Kaya Eisenhardt)
Mit einem Segen gingen wir schließlich auseinander, dankbar für die gemeinsam im Schreiben, Schweigen und Teilen von Gedanken und Texten verbrachte Zeit.
Wir bedanken uns an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich für die Möglichkeit, den besonderen Ort der Moschee nutzen zu dürfen, der uns an diesem Tag eine so intensive Schreibkreativität und Spiritualität eröffnete.
Möglicherweise entsteht aus unserer Zusammenkunft sogar eine neue Schreibgruppe – wer daran Interesse hat, kann sich gerne unter folgender E-Mail-Adresse anmelden:
Andrea.saalbach@sprachspielraum.de
© Andrea Saalbach, 2025
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